Hallo liebe Leser vom „Ein UNS entsteht“-Blog,
als Sasila fragte, wer Lust hat, als Gastblogger auf dem Blog mitzuschreiben, habe ich nicht lange überlegt und meine Hilfe angeboten – und da habt Ihr ihn nun, meinen ersten Beitrag.
In meinem ersten Beitrag geht’s um etwas, was für viele Leser vielleicht noch gar nicht aktuell ist, aber trotzdem doch schon interessant – um die Schule bzw. um Probleme in derselben!
Heute kam es nämlich – das erste Zeugnis unseres großen Sohnes.
Hat man mich vor einem Jahr gefragt, wie ich über die kommenden schulischen Leistungen vom Junior denke – ich hätte zu gern jedem lang und breit erzählt, wie gut der in der Schule sein wird. Das er ohne Schwierigkeiten bis zum 1er-Abi marschieren wird, wenn er es zwar nicht so mit Sport hat – aber n gescheiter Kerl isser ja schon. Und so wissbegierig! Und versteht so viel! Und weiß so viel!
Tja – zum Glück habe ich mich nicht so weit aus dem Fenster gelehnt. Zum Glück habe ich gesagt, dass ich zufrieden bin, wenn er nur Spaß in der Schule hat und nicht gerade der Schlechteste in der Klasse ist.
Der Große war nämlich immer der „Gute“. Konnte sich früh drehen, schnell krabbeln, hat früh viel und deutlich gesprochen.
Er war ein an sich ruhiges und zufriedenes Kind, hat neues Wissen aufgesaugt wie ein Schwamm und war immer darauf bedacht, zu helfen.
Uns Eltern, jüngeren Kindern im Kindergarten, den Erziehern. Eine Zeit lang durften wir ihn Freitag nicht vor KiGa-Schluß abholen, weil er geweint hat, wenn er den letzten Schließdienst inkl. Handtücher zusammenlegen nicht mitmachen durfte.
Waren wir beim Arzt bei den U-Untersuchungen – er hat immer alles mitgemacht. War so stolz auf sich selbst, dass sowas wie Trotzanfälle und „ich will das nicht“ niemals in Frage kamen – denn wer sich weigert, was zu machen, wird ja nicht gelobt, weil er es toll gemacht hat.
Sorgen um die Schule haben wir uns also nie gemacht, zumal er schon Interesse an Buchstaben und Zahlen gezeigt hatte und schnell verstanden hat, was wir ihm erklärt haben.
Blöd nur, dass wir die Rechnung ohne die anderen Kinder gemacht haben – denn die „stören“.
Was uns nämlich nie in den Sinn kam - dass er sich in der Klassensituation nicht konzentrieren kann. Mein Sohn sagt mir, welche Farbe die Schleife im Haar der Sitznachbarin hat und wie viele Vögel im Baum vor dem Fenster rumgehopst sind – aber was seine Lehrerin da vorn erzählt hat – DAS weiß er nicht mehr.
Die Lehrerin nimmt sich oft Zeit, ihm etwas in der 1:1-Situation zu erklären, aber da sind noch über 20 andere Kinder in der Klasse – die auch ihre Zuwendung brauchen. Noch schlimmer ist die Situation im Hort, wo er Hausaufgaben machen soll – da er noch nicht fließend lesen kann, versteht er die Aufgabenstellungen oft nicht ohne Hilfe und geht dort dann komplett baden.
Erfahren haben wir von dieser Misere, als wir im Herbst zum ersten Elterngespräch waren. Da saßen wir nun, als eines der wenigen Elternpaare gemeinsam. Und wir rechneten damit, dass die Lehrerin uns gleich Lobeshymnen auf unseren Sohn singen wird.
Und dann? *BÄMMMM*
„… Wahrnehmungsstörung. Authistische Züge… - neee, ADHS vermute ich nicht… aber zum Arzt sollten Sie schon mal mit ihm – gehen Sie nur nicht hier im Ort, die geben Ihnen direkt Ritalin mit…“
Man kann das gar nicht beschreiben, wie man sich da fühlt. Als hätte einem die gute Frau mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.
Sie hat uns dann genauer geschildert, was sie mit unserem Sohn tagtäglich erlebt – das er sich nicht konzentrieren kann, das er statt still zu arbeiten lieber Schubladen schließt und schwer schockiert reagiert, wenn man ihn mal zurückweist, weil andere Kinder in dem Moment vorgehen. Sie hat uns deutlich gemacht, dass unser Kind den Klassenablauf nachhaltig stört und es so nicht weitergehen kann.
Unsere Reaktionen fielen unterschiedlich aus.
Mein Mann (der Diplomat) war dankbar, dass die Lehrerin uns darauf aufmerksam gemacht hat. Fand sie sehr nett und nur ums Wohl des Kindes besorgt.
Ich hingegen wurde schnell wütend. Auf das Schulsystem, was Kinder in Schubladen stopfen will, in die sie nicht reinpassen. Wer sagt denn, dass unser Sohn der Unnormale ist? Sind vielleicht all die braven Lämmchen, die wie hypnotisiert den Worten der Lehrerin lauschen, die, die „krank“ sind? Und ich war auch schnell wütend auf die Lehrerin, die sich herausnahm, psychologische Diagnosen in den Raum zu werfen.
Trotzdem waren wir uns sicher, dass wir uns an einen Arzt wenden werden – und zwar nur, um schriftlich zu bekommen, dass unser Kind gesund ist.
Psychologische Kinderpraxen sind hier in NRW hoffnungslos überlastet, weswegen wir bis heute nicht wissen, was mit dem Großen los ist.
Er ist ruhiger geworden, das wurde uns auch von der Lehrerin bestätigt. Und wir hatten schon zwei Termine in einem Sozialpsychologischen Zentrum – leider sind die aufgrund dieser beiden Termine wirklich der Meinung, dass ADS (ohne Hyperaktivität) infrage kommt.
Er kann sich nicht fokussieren, kann andere um sich herum nicht ausblenden. Er weiß Dinge, die ihn eigentlich nichts angehen, schnappt Nachrichtenfetzen auf und analysiert sie – aber das er das „X“ lernen soll und Matheaufgaben wichtiger sind als die Tatsache, dass der kleine Bruder heute schon die vierte Stinkewindel produziert hat – das versteht er nicht.Genaue Tests, die zur Diagnose führen, stehen noch aus. Wie erwähnt, die Praxen sind alle übervoll.
Ich weiß gar nicht, was ich mir mittlerweile wünschen soll? Eine handfeste Diagnose, aufgrund der man Ergo- und Mototherapie bekommen kann? Das man vielleicht mal eine Reha machen kann, in der wir Eltern und das Kind lernen, damit umzugehen?
Oder will ich, dass man uns sagt, dass er gesund ist und dann stehen wir allein da mit der Problematik, die ja ziemlich viel hier belastet?
Sollen wir das alles abbrechen – denn wenn er wirklich ADS hat, kann er zB niemals in seinem Leben Pilot werden – was verbauen wir dem Kind damit? Aber was verbauen wir ihm, wenn wir die Diagnostik abbrechen?
Fragen über Fragen. Wir haben uns dazu entschlossen, ihn ab dem kommenden Jahr schon Mittags aus der Schule heimkommen zu lassen – damit er die Hausaufgaben in Ruhe daheim erledigen kann und so kein Stoff verloren geht. Auf Empfehlung werden wir ihn ab September am „Marburger Konzentrationstraining“ teilnehmen lassen. Und ansonsten können wir nur abwarten. Abwarten, bis die Praxis anruft und einen Termin für den Test vorschlägt.
Wie auch immer es ausgeht – So haben wir uns das mit der Schule nicht vorgestellt. So unbedarft, wie wir an das Thema rangegangen sind, so sehr haben wir uns auf den Allerwertesten gesetzt, als die Wolken am Horizont aufzogen. Blöde Situation, wirklich.
Ach so – fast vergessen – das Zeugnis! Das war viel besser als wir uns das erhofft hatten. Vom sitzenbleiben sind wir weit entfernt und der Opa war sogar so happy, dass es 30 € Zeugnisgeld gab. ☺
Ich hoff, es hat Spaß gemacht, das zu lesen!Über Kommentare freue ich mich natürlich.
Bis zum nächsten Mal!
Antje
Super interessanter Post, ich dachte da wird über unsere Tochter geschrieben:)
AntwortenLöschenWir haben mittlerweile die Diagnose: Hochsensibilität mit einem IQ zu dem man uns beglückwünscht hat, was auch immer das heißen mag.
Ich wünsche euch starke Nerven auf der Suche nach einem guten Arzt.
Gruß simone
Dankeschön, wir harren mal der Dinge, die da noch kommen mögen! 😊
AntwortenLöschenGruß, Antje
Ich kann eure Sorgen und zum Teil auch deine Wut absolut nachvollziehen.
AntwortenLöschenAber ich bin Lehrerin und kann dir versichern, dass andere Kinder weder "brave Lämmchen" noch "hypnotisert" noch "krank" sind. Alle Kinder sind mal unruhig und lassen sich auch ablenken - nur vielleicht nicht so schnell oder oft wie euer Sohn.
Ich finde es deshalb nicht in Ordnung und es macht mich irgendwo auch wütend, dass diese Kinder so negativ dargestellt werden, nur weil sie weniger Probleme in der Schule haben.
Und noch etwas zur Verteidigung der Lehrerin (weil du schreibst, dich stören ihre psychologischen Diagnosen): Ich kann nicht beurteilen, wie gut oder schlecht sie sich in dem Gespräch ausgedrückt hat. Allerdings ist es definitiv ihre Aufgabe, euch ihre Beobachtungen mitzuteilen. Viel zu oft entstehen Probleme, weil Lehrer eben nicht genau genug beobachten oder das Gespräch mit den Eltern nicht suchen. Aber sie hat euren Sohn sehr genau eingeschätzt (und das ist nicht gerade einfach, alle anderen Kinder in der Klasse fordern ja auch ihre Aufmerksamkeit) und da sie weder Psychologin noch Ärztin ist, hat sie sich aus meiner Sicht genau richtig entschieden, indem sie euch riet, einen Fachmann aufzusuchen.
Klar, das klingt anmaßend und ich lehne mich da weit aus dem Fenster, aber das waren eben meine Gedanken in der ersten Zeit nach dem Gespräch. Sehe ich mit Abstand heute auch nicht mehr so dramatisch, aber die ersten Tage nach dem Gespräch war ich tödlich beleidigt und fühlte mich persönlich angegriffen.
LöschenDas hab ich der Lehrerin einige Monate später auch gesagt, wie ich damals gedacht habe. Sie fand das nachvollziehbar und okay. Und sie nahm das nicht persönlich. 😉
Wie viele andere Leuten hier finde ich eurem Post auch super interessant. Den habe ich mit sehr viele liebe gelesen.
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